front: „Human-Sprite Table (Zustand #1)“, 2022, ca. 70 x 80 x 120 cm, unglazed ceramics, UV-Print on acrylic glass
back: „MICHAEL“, 2023, ca. 95 x 124 x 14 cm, UV-Print on acrylic glass, unglazed ceramics, screws, MDF
Solo at BSMNT gallery, Leipzig, 2023
Detail
DE// Als der Spielfilm „Tron“ 1982, einer der ersten Filme mit computergenerierten Grafiken, in die Kinos kam, wurde er, trotz eher hölzerner schauspielerischer Leistungen und unzusammenhängender Erzählstränge, für seine futuristische Ästhetik bekannt und gefeiert. Besonders die gerasterten Flächen und das Changieren zwischen Zwei- und Dreidimensionalität haben sich im Bildgedächtnis mindestens einer Generation eingeprägt. Auch wenn sich heute, vierzig Jahre nach Entstehung des Films, deutlich die zeitgebundene Gestaltung abzeichnet, die sich als Retrofuturismus subsumieren ließe, haben er und andere Kulturprodukte dieser Zeit mit ihrer Ästhetik bis heute die Popkultur geprägt.
Markus Heller nimmt in seiner Ausstellung „Domesticated Pleasures“ nicht nur ästhetische Anleihen an Filmen und Videospielen der 1980er und frühen 90er Jahre, sondern auch eine diffuse nostalgisch-melancholische Erinnerung an die Kindheit und Jugend in dieser Zeit auf, die nicht unbedingt ihn persönlich betrifft, sondern sich kollektiv übertragen lässt. Schon der Titel der „heimischen Freuden“ erinnert an die mit Videospielen und VHS-Kassetten gefüllten Nachmittage. Typisch für diese sind Figuren und Charaktere, die Archetypen entsprechen, die oft über Jahrtausende und verschiedene Kulturkreise hinweg funktionieren und auf die sich Markus Heller in seinen Arbeiten bezieht. Michael Myers etwa, der unsterbliche Serienmörder der Filmreihe „Halloween“ als das personifizierte, unaufhaltsame Böse, das stumm in die häusliche Idylle eindringt, ähnlich dem christlichen Luzifer, den „Alten“ aus H.P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos oder Lord Voldemort als Antagonist von Harry Potter. Markus Heller setzt ein Portrait Michael Myers’ vor einen Rapport aus Medusenköpfen, ebenfalls ein allgegenwärtiger Topos zwischen dem Bösen und seiner Überwindung. Ähnlich wie die Figur Michael Myers zieht sich der Topos der Medusa durch die gesamte Kulturgeschichte, vom Gilgameschepos über indische Göttinnen bis hin zu zeitgenössischen Adaptionen antiker Stoffe in Romanen, Filmen und – vor allem – Computerspielen. Die Darstellungen in der auf Plexiglas gedruckten Digitalgrafik sind aus groben Pixeln zusammengesetzt und teilweise im Raster gespiegelt. Ihre ikonische Präsenz macht sie trotz der abstrahierenden 8-Bit-Ästhetik auf den ersten Blick erkennbar.
Die Rasterstruktur der Pixel und des Rapports setzt sich im gesamten Ausstellungsraum fort und bildet den Rahmen für die gesamte Installation. Tische auf skulpturalen Beinen zeigen ein Raster, in dem sich aus kubischen Teilen die Form eines Menschen zusammensetzt. Die beiden „Tischplatten“ bestehen wie die schon beschriebene Arbeit aus mit Digitalgrafik bedrucktem Plexiglas. Das Raster setzt sich in Sockeln aus Gitterrost fort. Und auch auf den gegossenen Betonsteinen, die die Roste tragen, wird diese Struktur durch sich im 90-Grad-Winkel überschneidende Linien großformatig aufgegriffen.
Auf den Sockeln und Tischen verteilt, aber auch an den Wänden hängend und solitär stehend, ziehen sich Keramikskulpturen wie ein roter Faden durch die gesamte Installation. Im Material kontrastieren sie mit den digital-ästhetischen Arbeiten, führen diese aber inhaltlich weiter: So schaut ein Minotaurus schüchtern, das Kinn auf die Brust gelegt, die hereinkommenden Besucher:innen an, eine fast lebensgroße Mensch-Stier-Chimäre, als ein weiteres Wesen aus Mythologie, Kunstgeschichte und Popkultur. Mehrere Hunde finden sich in der Installation, wiederum als Verweis auf die „häuslichen Freuden“ und mit 20.000 Jahren Erfahrung absolute Verkaufsschlager der Domestizierung. Auch hier lässt Markus Heller wieder verschiedene Assoziationsmöglichkeiten offen: Der Hund kann als altägyptischer Anubis gelesen werden, als Kultobjekt, aber auch als Stellvertreter für Familie und Kindheit. Und selbst eine kleine Keramikschale, die auf einem der tischartigen Objekte steht, wird, einmal in Hellers Referenzwelt eingeführt, mit vier länglichen Fingerspuren gleichsam zu einem Verweis auf Handabdrücke in französischen Höhlenmalereien und den mit einer blutigen Hand markierten Volleyball Wilson aus „Cast Away“.
Die 8- bzw. 16-Bit-Ästhetik taucht in einer Serie von Siebdrucken wieder auf, die die Ausstellungsinstallation rahmen. Das Verfahren des Siebdruckes steht der digitalen Welt durch seine mögliche Reproduktionsfrequenz nahe. Auch die Struktur, die im Druck durch das Sieb entsteht, erinnert an Pixel. Die Blätter referieren auf Standbilder aus frühen Computerspielen der späten 1980er und frühen 90er Jahre, die vielleicht gerade wegen ihrer zurückgenommenen, detailarmen Gestaltung viel Raum für die Phantasie der Spieler:innen lassen. Markus Hellers menschenleere Räume, voller angeschnittener, nicht näher definierbarer Objekte und Ecken (hinter denen jederzeit Michael Myers auftauchen könnte) erinnern gleichzeitig an die anrührend plumpe Dreidimensionalität früher Point-and-Click-Adventures wie „Maniac Mansion“ wie an die metaphysischen Raumkonstruktionen Giorgio de Chiricos.
Im Zusammenspiel der einzelnen Arbeiten im installativen Kontext der Ausstellung entstehen zwischen den einzelnen, autonomen Werken Zusammenhänge, aus denen sich neue Referenzen und Zwiegespräche ergeben. Markus Heller intendiert diese nicht unbedingt, durch die Andeutungen und Verweise auf Motive und Geschichten, die teils seit Jahrtausenden, teils in der jüngsten Vergangenheit in unser kollektives Bildgedächtnis übergegangen sind, ergeben sie sich automatisch in den Köpfen der Besucher:innen. Durch die Komplexität der Bild- und Motivsprache Markus Hellers wachsen so Bezugnahmen und neue Geschichten ins Unendliche.
Text: Sophia Pietryga
Roomview
EN// When the movie "Tron" was released in 1982, one of the first films to use computer-generated graphics, it became known and celebrated for its futuristic aesthetic, despite rather wooden acting performances and disjointed narrative threads. In particular, the gridded surfaces and the oscillation between two- and three-dimensionality have been imprinted in the visual memory of at least one generation. Even if today, forty years after the film's creation, the time-bound design that could be subsumed as retrofuturism is clearly evident, it and other cultural products of the time have shaped pop culture with their aesthetics to this day.
In his exhibition "Domesticated Pleasures," Markus Heller not only borrows aesthetically from films and video games of the 1980s and early '90s, but also from a diffuse nostalgic-melancholic memory of childhood and youth during this period that does not necessarily concern him personally, but can be transmitted collectively. Even the title of "domestic pleasures" recalls afternoons filled with video games and VHS tapes. Typical of these are figures and characters that correspond to archetypes that often function across millennia and different cultural circles and to which Markus Heller refers in his works. Michael Myers, for example, the immortal serial killer of the film series "Halloween" as the personified, unstoppable evil that silently invades the domestic idyll, similar to the christian Lucifer, the "Old Ones" from H.P. Lovecraft's Cthulhu Mythos or Lord Voldemort as the antagonist of Harry Potter. Markus Heller sets a portrait of Michael Myers in front of a rapport of Medusa heads, also an omnipresent topos between evil and its overcoming. Similar to the figure of Michael Myers, the topos of Medusa runs through the entire cultural history, from the Gilgamesh epic to Indian goddesses to contemporary adaptations of ancient material in novels, films and - above all - computer games. The depictions in the digital graphics printed on acrylic glass are composed of rough pixels and partially mirrored in the grid. Their iconic presence makes them instantly recognizable despite the abstracting 8-bit aesthetic.
The grid structure of pixels and repeat continues throughout the exhibition space, framing the entire installation. Tables on sculptural legs display a grid in which the shape of a human being is composed of cubic parts. Like the work already described, the two "tabletops" are made of Plexiglas printed with digital graphics. The grid continues in pedestals made of grating. And on the cast concrete blocks that support the grates, this structure is also taken up in large format by lines intersecting at 90-degree angles.
Scattered on the pedestals and tables, but also hanging on the walls and standing solitary
ceramic sculptures run like a thread through the entire installation. In terms of material, they contrast with the digital-aesthetic works, but take them further in terms of content: thus, a minotaur looks shyly at the incoming visitors, its chin resting on its chest, an almost life-size human-bull chimera, as another creature from mythology, art history, and pop culture. Several dogs are found in the installation, again as a reference to the "domestic pleasures" and with 20,000 years of experience absolute bestsellers of domestication. Again, Markus Heller leaves open various possibilities of association: The dog can be read as an ancient Egyptian Anubis, as a cult object, but also as a representative of family and childhood. And even a small ceramic bowl standing on one of the table-like objects, once introduced into Heller's world of reference, becomes, with four elongated fingerprints, as it were, a reference to handprints in French cave paintings and the volleyball Wilson from "Cast Away" marked with a bloody hand.
The 8- or 16-bit aesthetic reappears in a series of screen prints that frame the exhibition installation. The process of screen printing is close to the digital world through its potential frequency of reproduction. The structure created in the print by the screen is also reminiscent of pixels. The sheets refer to still images from early computer games of the late 1980s and early 1990s, which perhaps precisely because of their restrained, low-detail design leave a lot of room for the imagination of the players. Markus Heller's deserted rooms, full of cut, undefinable objects and corners (behind which Michael Myers could appear at any time) are at the same time reminiscent of the touchingly clumsy three-dimensionality of early point-and-click adventure games such as "Maniac Mansion" as well as of Giorgio de Chirico's metaphysical spatial constructions.
In the interplay of the individual works in the installative context of the exhibition, connections emerge between the individual, autonomous works, from which new references and dialogues emerge. Markus Heller does not necessarily intend these; through the allusions and references to motifs and stories, some of which have been part of our collective pictorial memory for millennia, others in the recent past, they arise automatically in the minds of the visitors. Through the complexity of Markus Heller's pictorial and motivic language, references and new stories grow into infinity.
Text by Sophia Pietryga
"Untitled plate", 2022, ca. 30 x 40 cm, unglazed ceramics
Roomview
„An elephant‘s eye“, 2023, ca. 70 x 120 x 25 cm, glazed ceramics, threaded rod, screws, concrete
„MANDOG(GOD)“, 2021, ca. 50 x 40 x 25 cm, unglazed ceramics
„GODDGODOG“, 2021, ca. 50 x 40 x 63 cm, partly glazed ceramics, earth, candle
Detail
„Afraid and naked“, ongoing series of golden-glazed ceramics, since 2021& „Grey Pulse“, 2023, looped color cycle on 70“ Screen
"What is in the box?", 2022, 50 x 70 cm, silk print on paper, glazed ceramics, magnets
Detail
left: „SIMON (mini-taur)“, 2022, ca. 180 x 45 x 30 cm, glazed ceramics
right: "A family watching the moon together", 2022, 50 x 70 cm, silk print on paper, glazed ceramics, magnets
Roomview
"There is a hole in the wall ...", 2022, 50 x 70 cm, silk print on paper, glazed ceramics, magnets
Detail
„MICHAEL“, 2023, ca. 95 x 124 x 14 cm, UV-Print on acrylic glass, unglazed ceramics, screws, MDF
"Floormaster", 2021, ca. 130 x 50 x 30 cm, unglazed ceramics, concrete, tension belt
"Walk to ...", 2022, 50 x 70 cm, silk print on paper, glazed ceramics, magnets
„Why we like the ruins“, 2022, ca. 68 x 130 x 70 cm, ceramics, acrylic glass, threaded rod, screws
Detail
left: „Human-Sprite Table (Zustand #1)“, 2022, ca. 70 x 80 x 120 cm, unglazed ceramics, UV-Print on acrylic glass
right: "Human-sprite-table (Zustand #2)", 2022, ca. 45 x 80 x 120 cm, unglazed ceramics, UV-Print on acrylic glass
Detail
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