Solo at Kunsthalle.Ost, Leipzig, 2024
DE// "dazwischen glücklicherweise unentschlossen"
Vier Krallen klackern auf Gießbeton, während sich ein schwarzer Hund auf der Suche nach einem geeigneten Ruheort ein paar Mal im Kreis um seinen gewohnten Ablageort bewegt. Endlich stoppt er, absolviert ausgiebig einen Downward-Facing Dog, dann legt er sich ab, breitet Vorder- und Hinterbeine aus, streckt die Pfoten von sich. Ein langes Seufzen, ein Prusten aus der Nase folgen. Nun schauen Dich zwei dunkle Augen an, aus deren Blick Du fast alles ablesen kannst: Freude über die Ruhe, unendliche Müdigkeit, Wachsamkeit und das Erfassen der Umgebung, ein „es-ist-alles-egal“, das Warten auf das nächste Futter, die Blödheit eines Tieres oder die Überlegenheit einer anderen Spezies, die einfach, ohne Sorge, in der Welt sein kann.
Diese geladene Gleichzeitigkeit vermeintlich widersprüchlicher Zustände seziert Markus Heller in seiner Ausstellung Meanwhile in der Kunsthalle Ost. Die drei ausgewählten Werkeserien eröffnen jeweils die Kompression einzelner Momente, sie dröseln verwobene Erzählstränge auf. Das geschieht – entsprechend des gewählten Gleichzeitigskeitsansatzes - geistig wie körperlich, durch ihren Inhalt wie durch ihre Form und ihr Material.
Für die Wände des Ausstellungsraums hat Markus drei fluid-gestisch wirkende digitale Grafiken ausgewählt, die auf großformatige PVC-Hartschaumplatten gedruckt wurden. Während durch das große Format und ein Tonsiegel auf der Rückseite Referenzen zu handwerklicher Malerei und Unikat-Kunst erzeugt werden, verweist die slicke Oberfläche auf Reproduzierbarkeit und industrielle Herstellung. Die abstrakten Grafiken, entstanden durch das schnelle und halbbewusste scribbeln in einem Grafikprogramm für 1990er-Jahre Dateiformate und -optiken, sind zum materiellen Artefakt durch einen Klick geworden. Sie wurden aus dem Studio zur Druckerei und zurück ins Studio in wenigen Tagen mit minimalem Aufwand gesendet. Ihre Titel, „MELANCHOLIE“, „OH CRAP!“ und „A FAMILY WATCHING THE MOON TOGETHER“ hingegen eröffnen ganz andere Zeithorizonte und kontrastieren in ihrer Lesbarkeit dabei auch die gegebenen Anspielungen auf informelle Malerei.
Die von Markus nebenan platzieren Betonplatten sind ebenso vielseitig: Sie lassen die Grafik von der Wand auf den Boden rutschen, bleiben dabei aber Bild und ermöglich so einen nahtlosen Übergang zu den Skulpturen, welche sie doch gleichzeitig konterkarieren. Drei der Platten ergeben sich aus den Bildtiteln der großformatigen Grafiken in ihrer Nähe, drei aus den Titeln der benachbarten Skulpturen. Durch die gegenständlichen Abbildungen – drei weitere Platten zeigen einen Sonnenauf- oder -untergang, eine den ikonischen Blick Simbas kurz vor dem Tod des Todes seines Vaters in Disneys „König der Löwen“ – entsteht eine Landschaft des Dazwischen. Sie besteht aus Abbildungen, Benennungen und Verweisen auf Momente des bewussten Abwartens, der plötzlichen Erkenntnis, dem Wechselspiel von Aktivität und Passivität.
Die unendliche Gleichzeitigkeit aller erahnbaren Vorgänge und Möglichkeiten sowie die daraus resultierende Unwahrscheinlichkeit erfolgreicher Handlung hat starke Auswirkungen im Spannungsfeld von Aktivität und Passivität. Abwarten, Zuschauen, Aktivwerden, die Welt retten, verzweifeln, rumsitzen: Meanwhile ist ein Topos aus Comics, der die Erzählung aufbricht und zeigt, mit was Held:innen oder Schurk:innen in der Zwischenzeit beschäftigt waren. Durch Markus’ Werkauswahl kann Meanwhile aber auch als Paradigma eins Verhältnisses zur Welt verstanden werden: Im Bewusstsein einer ständigen Gleich- und Zwischenzeitigkeit werden Augenblicke zu ausdehnbaren Räumen, während Momente des komplentativen Innehaltens zu Symbolen in Beton geschrumpft werden können, die in Sekundenbruchteilen erkannt, verarbeitet und verstanden werden dürfen.
Der immer noch auf Dir ruhende Blick der schwarzen Augen verkörpert diese Denkweise. Der Hund atmet ruhig, ab und an schnauft er, schließt die Augen, öffnet sie. Ihm lassen sich ebenso wachsame Gespanntheit wie auch ein unaufmerksamer Dämmerzustand zuschreiben, an ihm zieht die Gegenwart bis zum vielleicht sogar eruptiven Ausbruch von Engagement unberührt vorbei. Ein Hund ist traditionell eine Metapher für Melancholie, einem Zustand der Zeitlosigkeit, der bestenfalls Müßiggang bedeutet, der der Depression aber ebenfalls die Türen öffnet.
Wohl auch deshalb hat Markus für die dritte Werkserie, drei Skulpturen, Hundartige Elemente eingearbeitet. Er kombinierte Tierköpfe, die an verfremdete Wolfs- und Hundecomicfiguren erinnern, mit einer archaischen wirkenden Form der Herstellung von Keramik. Die Grundformen der Skulpturen erinnern an ägyptische Kanopen, Aufbewahrungsorte für Eingeweide von Mumien also, an Totempfähle und an Ritualobjekte – es treffen Gen-Y Kinderhelden auf (Prä-)Antike. Die surrealistischen Verformungen der Köpfe, die ihnen geisterhafte Formen und Bedrohlichkeit zuteilwerden lassen, öffnet ihre Lesbarkeit weiterhin in viele Richtungen, sie werden Aggressor und Begleiter zugleich. Im Ausstellungsraum sind sie jedenfalls die Agenten, die sich der Vielzahl der aufgerufenen Momente und Möglichkeiten stellen müssen.
Die Hundeprotagonisten der Ausstellung Meanwhile sollten dabei, wie die ausgewählten Arbeiten von Markus insgesamt, glücklicherweise unentschlossen sein. Denn nur durch Offenheit ist es möglich jeden Moment das Maß an Aufmerksamkeit und persönlicher Zeit zu geben, dem ihm in individueller Einschätzung gebührt. Dieses Abschätzen führt zu einer besonderen Reflexion der eigenen Zeit, der eigenen Aktivität und Passivität. Es ist ein Maßnehmen, welches einhergeht mit dem Ausdehnen, Verdichten und Überlappen verschiedenere Zeiten und wird zur Arbeit am Dazwischen, am Verständnis der eigenen Position gegenüber Mitmenschen und Umwelt. Meanwhile, das Nachdenken über die Gleichzeitigkeit der Dinge und die Einschätzung der eigenen Produktivität, führt dabei zu künstlerischen Werken und wie in dieser Ausstellung zu gelungen Entscheidungen.
Text: Johannes Listewnik